DIE STIFTERIN

GEORGIA FRIEDRICH

01.06.1943 – 05.03.2020

Gründerin der Kölner Filmerbe Stiftung ist die Psychologin, Dozentin und Dokumentaristin Georgia Friedrich. Die neue Stiftung ist eine von vielen Spuren, die die gebürtige Berlinerin in Köln hinterlassen hat. Die Facetten ihres beruflichen, ehrenamtlichen und kreativen Wirkens zeugen von einer Persönlichkeit mit enormem Tatendrang, getragen von Weltoffenheit, Hilfsbereitschaft und dem festen Glauben an die Kraft der Bildung.

Nach Abitur und Studium in Bonn liegen ihre beruflichen Anfänge als Mitarbeiterin der evangelischen Familienberatung und als Psychologin in einem evangelischen Kinderheim. Mit ihrem Ehemann, dem Pastor Helmut Friedrich, bezieht sie 1969 das Pfarrhaus der Köln-Bickendorfer Epiphanias Kirche: 13 Jahre lang der Mittelpunkt ihrer Arbeit und ihres Lebens. In dieser Zeit steigt Georgia Friedrich mit Anfang 30 zur Amtsleiterin der evangelischen Familienberatung auf und ist dort verantwortlich für 30 Mitarbeiter*innen. Es sieht alles danach aus, als verliefe das Leben weitgehend in den Bahnen des evangelischen Kölns.

Doch Georgia und Helmut Friedrich wollen über Grenzen hinweg wirken. Offensiv gehen sie auf die katholischen Gemeinden in der Nachbarschaft zu. Gemeinsam ermuntert das Paar junge Leute, Kontakte ins Ausland zu knüpfen, organisiert Exkursionen nach Israel und Frankreich. Und sie gehören zu denjenigen, die früh für Toleranz eintreten und eine Betreuung für „Gastarbeiter“-Kinder auf die Beine stellen, als diese in deutschen Kindergärten noch keine Plätze bekommen.

Eine Zeit, von der Georgia Friedrich im August 2019 bei einem ihrer letzten öffentlichen Auftritte in Köln-Bickendorf noch einmal berichtet. Auf der Leinwand des überfüllten Friedrich-Ebert-Saales laufen alte Filmaufnahmen aus dem Gemeindeleben und dem Stadtviertel, die auch 50 Jahre nach Entstehung noch für viel Gesprächsstoff sorgen. Bei diesem Anlass berichtet sie auch über die bevorstehende Gründung der Stiftung. Glücklicherweise gibt es von diesem Abend einen Videomitschnitt, den wir hier auf unserem Youtube Kanal zeigen.

Georgia Friedrich filmt und fotografiert weniger um persönliche Erinnerungen zu bewahren, sondern mit dem Blick der Dokumentaristin, der Vermittlerin. Das gilt auch für ihre ausgedehnten Reisen mit dem Auto, vor allem durch die Türkei und den Nahen Osten. Ausführlich dokumentiert in Film, Fotografie und Tagebüchern entstehen so reichhaltige Quellen zur Kultur- und Sozialgeschichte der 1970er Jahre.

Die selbst organisierten Reisen schaffen Vertrauen für einen ersten beruflichen Sprung ins Ausland. Georgia Friedrich arbeitet in der Mission der evangelischen Kirche für den gesamten Nahen Osten auf Zypern, während Ehemann Helmut von dort aus die Baustellen der großen deutschen Firmen in der arabischen Welt als Seelsorger betreut. Die Erfahrung aus der Arbeit in internationalen Strukturen bringt sie mit Anfang 40 in ein neues Amt ein: Sie wird Präsidentin des Verbandes der „Evangelischen Europäischen Eheberaterinnen“ und dies für lange Jahre bleiben.

1994 ist es dann Helmut Friedrich, der der Berufung seiner Frau folgt. Georgia Friedrich wird von der weltweit tätigen Gossner Mission für drei Jahre nach Nepal und Indien berufen, hilft dort bei der Einführung der Klinischen Psychologie und führt Studien zu den dortigen Lebensverhältnissen der Frauen durch. Für ihren dreijährigen Aufenthalt erlernt sie mit Nepali auch die wichtigste Landessprache. Als sie feststellt, dass es noch kein Wörterbuch Deutsch-Nepali gibt, schreibt sie es. Es ist bis heute das einzige auf dem Buchmarkt. Sie engagiert sich in der Deutsch-Nepalischen Gesellschaft. Ihre umfangreiche Foto- und Videodokumentation ist heute eine Fundgrube, nicht nur für Kulturwissenschaftler.

In den folgenden Jahren wird sie als Managerin in Krisengebiete wie den Balkan oder nach Ost-Timor gerufen. Sie ist Mitglied in mehr als einem Dutzend Gremien. Das Spektrum reicht von lokalen Organisationen bis zu internationalen Verbänden. Sie arbeitet im Vorstand des Evangelischen Kinderheimes Anna-Stiftung e.V. und wird mit der Gründung der „Helmut und Georgia Friedrich Stiftung“ im Jahr 2009, die Studierende am Psychologischen Institut der Universität fördert, erstmals selbst zur Stifterin. Mit ihrer Kompetenz und Ausstrahlung ist sie über viele Jahre eine gefragte Dozentin.

Die Vielfalt ihres Wirkens spiegelt sich wider in einem persönlichen Archiv aus rund 60.000 Dias und Fotografien, aus Filmrollen, Videos und Tagebüchern von Reisen in über 100 Länder, aber auch in Fachvorträgen und von ihr arrangierten Bilderschauen und Filmvorführungen. Die Sammlung Georgia Friedrich ist heute Teil der von ihr gegründeten Kölner Filmerbe Stiftung.

Die Stiftung, die sich die Bewahrung des privaten Filmerbes zum Ziel setzt, wird im Jahr 2019 zu ihrem letzten großen Projekt. Sie versteht es als ein Geschenk an die Stadt, in der sie sich zuhause gefühlt hat, und ihre Menschen und als eine besondere Wertschätzung der frühen Privatfilmer, als gewichtige Quelle visueller Heimatgeschichte.

Sie selbst fühlt ihre eigenen Filmaufnahmen erstmals von einem größeren Kreis wahrgenommen, als sie im Jahr 2007 Szenen ihrer frühen Köln-Filme nach einem Aufruf der Kölner Tageszeitungen einreicht, seinerzeit initiiert durch die heutige Vorstandsvorsitzende der Stiftung Prof. Dr. Friederike Bing und umgesetzt durch den Filmemacher Hermann Rheindorf. Unter den Teilnehmerinnen ist auch Gerty Brügelmann aus der einst die Altstadt prägende Textilfabrikantenfamilie Brügelmann, die über ein eigenes Filmarchiv mit fast 100jähriger Geschichte verfügt. Ihre Tochter, die Ärztin Dr. Renate Beckmann ist heute Mitglied des Kuratoriums der Stiftung.

Der Zufall wollte es, dass Georgia Friedrich selbst in dem ehemaligen Brügelmann-Stammhaus wohnte und in den Dokumentationen Hermann Rheindorfs erstmals historische Aufnahmen des Gebäudes sah. Sie engagiert sich in ihrer Hausgemeinschaft, plant für ein anstehendes Jubiläum einen Kurzfilm über die wechselvolle Geschichte des Hauses und nimmt zu dem Journalisten Kontakt auf. In der Folgezeit entsteht nicht nur das Projekt für den kleinen Kreis der Nachbarschaft. Am Rosenmontag 2009 z.B. erweist sich ihr Balkon als idealer Drehort für eine Dokumentation über die Geschichte des Kölner Rosenmontagszuges, eine Konferenzschaltung durch die Geschichte des höchsten kölschen Feiertages, kommentiert von Nathalie Bergdoll und Ludwig Sebus. Aus den gemeinsamen Projekten entwickelt sich eine langjährige Freundschaft, und Georgia Friedrich zeigt an der Entwicklung des Archivs Kölnprogramm reges Interesse. Längst ist das Archiv nicht nur eine Anlaufstelle für historische Szenen aus Köln und vom Rhein. Aufnahmen von Menschen und Orten in aller Welt, oftmals von Kölner*innen gedreht, gelangen über das Internet direkt zu den Menschen in den Ursprungsländern und ermöglichen ihnen seltene Einblicke in die eigene Geschichte. Beflügelt von dem Gedanken, dass ihre eigenen Reisefilme heute interessant sein könnten für die Menschen in den Ländern, die sie damals besucht hatte, lässt Rheindorf ihre Filme über Syrien, den Irak und Jordanien digitalisieren und veröffentlichte sie, digital aufbereitet, als eigene Playlist auf Youtube. Die Resonanz ist mit rund 250.000 Aufrufen und vielen dankbaren Reaktionen und Anfragen mehr als beachtlich.

Zu diesen motivierenden Erfahrungen gesellen sich aber auch Dämpfer. Als 2013 im Rahmen einer Veranstaltung im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln Zeitzeuginnen öffentlich einfordern, Rheindorfs Verfilmung der Geschichte Kölns in der NS-Zeit allen Kölner Schulen zur Verfügung zu stellen, ergreift sie die Initiative und bemüht sich gemeinsam mit Vertretern der Kölnischen Gesellschaft für Christlich Jüdische Zusammenarbeit und des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln bei Stadt, Land und Stiftungen vergeblich um Anerkennung. Auch ihr Wunsch eine dauerhafte Heimat für ihren persönlichen Nachlass zu finden, in der mit ihrer Sammlung geforscht und gearbeitet wird, erfüllt sich nicht. So reift ihre Entscheidung eine eigenständige rechtsfähige Stiftung zu gründen und u.a. in der Altenhilfe und in den Schulen unmittelbar gemeinnützig zu wirken. Am 24. Januar 2020 hält sie voller Freude die Gründungsurkunde der Kölner Filmerbe Stiftung in ihren Händen.

Noch in den letzten Lebenswochen in einem Pflegeheim setzt sie sich dafür ein, die Lebensbedingungen der Bewohner*innen zu verbessern. Seit einem Schlaganfall und einem Sturz war ihre körperliche Gesundheit besonders fragil. Am 5. März 2020 begab sie sich auf ihre letzte Reise.

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